Extreme Bedingungen

Im Bereich »Kondensierte Materie unter extremen Bedingungen« verbessern drei Projekte Komponenten und Verfahren für Experimente zu extremen Materiezuständen, wie sie etwa in Sternen und Planeten vorkommen. Eine Münsteraner Gruppe optimiert die Steuerung einer Strahlteiler- und Verzögerungseinheit, die aus einzelnen FEL-Pulsen jeweils Doppelpulse mit regelbarem Zeitabstand erzeugt. In Jena werden Sensoren entwickelt, mit denen das ultraschnelle Entstehen und Vergehen von Plasmen verfolgt werden kann. Schließlich sorgen Forscher aus Rostock für die passende Theorie, um die komplexen Daten analysieren zu können.

 

Die Projekte

 

Maßnehmer maßschneidern

An FEL-Messplätzen herrscht notorischer Platzmangel. Daher sind raumsparende modulare Konzepte für Messinstrumente gefragt.

Projektname: FEL-spezifische Röntgendiagnostik zum Studium dichter Plasmen
Projektleitung: Prof. Dr. Gerhard G. Paulus (Universität Jena)

Zur Untersuchung dichter Plasmen eignen sich, je nach Dichte, energiereiche ultraviolette Strahlung oder Röntgenstrahlung von Freie-Elektronen-Lasern. Neben den charakteristischen Wellenlängenbereichen stellt auch die kompakte und spezielle Architektur an den Messplätzen von FLASH oder European XFEL strikte Anforderungen an Spektrometer und Interferometer. Beispielsweise steht an den Vakuumkammern, die die Absorption der FEL-Strahlung durch Luft verhindern, für Messgeräte kaum Raum zur Verfügung. Kein handels­übliches prêt-à-mesurer Instrument dient mit der gewünschten spektralen Auflösung und den passenden Abmessungen zugleich.

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Fünfzig hauchdünne Schichten aus Silizium und Molybdän verleihen diesem Multilagenspiegel ausgezeichnete röntgenoptische Eigenschaften. So kann der Reflexionsverlust im Interferometer auf 35 Prozent verringert werden – ein guter Wert im extrem ultravioletten Spektralbereich. Zur Ansteuerung dienen die Halterung aus der Jenaer Werkstatt sowie eine Piezobühne. Foto: Vinzenz Hilbert

In diesem Projekt werden Interferometer und Spektrometer entwickelt, die für die Bedingungen bei FLASH und European XFEL optimiert sind. Dazu ist es nötig, die geeigneten Einzelkomponenten genau zu charakterisieren, zum Beispiel hinsichtlich ihrer Reflektivität oder Dispersion bei den eingesetzten Wellenlängen. Halten die Beugungsgitter, Multilagenspiegel und Kristallbeugungsoptiken der Prüfung stand, werden sie zum Bausatz zusammengestellt und vor Ort montiert. Besonders durch den modularen Ansatz ist die Lösung flexibel. Die Komponenten können für andere Experimente weiterverwendet werden. Somit wird man neben der Geometrie auch licht- und probenspezifischen Anforderungen wie Quellgröße, Photonenzahl und Repetitionsraten des jeweiligen Plasmaexperiments gerecht.

 


Erkenntnis durch Datendecodiercodes

Daten aus FEL-Experimenten mit Plasmen sind kryptisch. Eine theoretische Vor- und Nachbereitung der Experimente macht Messdaten menschenlesbarer.

Projektname: Licht-Materie-Wechselwirkung und Diagnostik von Materie unter extremen Bedingungen
Projektleitung: Prof. Dr. Ronald Redmer (Universität Rostock)

Die Thomsonstreuung von intensiver Röntgenstrahlung spielt eine wichtige Rolle bei der Untersuchung von dichten Plasmen mit Anrege-Abfrage-Experimenten an Freie-Elektronen-Lasern. Ein erster kurzer Laserpuls regt die Materie in einen extremen Zustand an, in dem geladene Teilchen rasch ihre Bindungen lösen. Einige hundert Femto- bis wenige Pikosekunden danach fragt ein zweiter Puls ab, wie die im System deponierte Energie umverteilt wurde und wie sich das System wieder in den Ausgangszustand zurück entwickelt hat. Aus dem gemessenen Streu­spektrum möchte man Informationen über die elementaren Wechselwirkungsprozesse gewinnen, insbesondere die Ionisations- und Rekombinationsprozesse. Experimente an dichten Plasmen bedürfen daher einer gründlichen theoretischen Vor- und Nachbereitung, um die gemessenen Daten deuten zu können.

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Dichte, Druck, Temperatur, Ionisationsgrad. Diese Größen charakterisieren ein Plasma und bilden zudem ein Bindeglied zwischen Modell und Messung. Sie lassen sich sowohl durch eine Simulation vorhersagen als auch durch Analyse der Streusignale gewinnen. Illustration: Britta von Heintze

Ziel dieses Projekts ist es, die Theorie zur Interpretation der gemessenen Spektren weiterzuentwickeln und damit zu einem besseren Verständnis von Materie unter extremen Bedingungen beizutragen. Zustandsgrößen wie die orts- und zeitaufgelösten Profile von Dichte, Temperatur und Ionisationsgrad des Plasmas sind dabei das Bindeglied zwischen dem gemessenen Streusignal und den elementaren Prozessen der Wechselwirkung. Die Zustandsgrößen des Plasmas werden mithilfe von ­Analysemethoden aus dem Streuspektrum errechnet und mit Ab-initio-­Simulationen verglichen. Andere numerische Methoden, allen voran Particle-in-Cell- und Radiation-Hydrodynamics-Simulationen, werden verwendet, um die räumliche und zeitliche Entwicklung des Plasmas während und nach der Laser-Plasma-­Wechselwirkung vorherzusagen. Um die Elementarprozesse in diesem bisher noch wenig erforschten Materiezustand besser zu verstehen, wird die Modellbildung verbessert, bis Simulation und Messung im Einklang stehen. Die im Experiment gewonnenen thermodynamischen Größen werden in der Physik dichter Plasmen und auch in angrenzenden Forschungsgebieten, besonders in der Astrophysik, benötigt. Dort können sie helfen, Modelle zur Entstehung, Struktur und Evolution von Planeten, Braunen Zwergen und Sternen zu verbessern.

 


Fernsteuerung für die Superzeitlupe

Messzeit ist knapp. Das zeitintensive Jusitieren der verwendeten Strahlteiler- und Verzögerungseinheit erfolgt daher am besten automatisiert.

Projektname: Bau von Diagnostik- und Justiereinrichtungen für die Strahlteiler- und Verzögerungseinheit am SASE2 Undulator des European XFEL
Projektleitung: Prof. Dr. Helmut Zacharias (Universität Münster)

Die Strahlteiler- und Verzögerungseinheit ist eine wichtige Voraussetzung für die in der Ultrakurzzeitphysik typischen Anrege-­Abfrage-Experimente. Sie präpariert das Licht der Freie-Elektronen-Laser für das Experiment, indem sie aus einem einzelnen Rohpuls eine zeitlich präzise regelbare Folge zweier Pulse erzeugt. Dem fruchtbaren Betrieb im Experiment gehen aber einige repetitive Schritte der Justierung voraus. Zum Beispiel müssen die speziellen Umlenkspiegel genauer als hunderttausendstel Grad eingestellt werden. Manuell ausgeführt, verlangen diese Schritte Akribie, Routine und nicht zuletzt Zeit – auf Kosten der wertvollen Strahlzeit.

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Justierung der Strahlteiler- und Verzögerungseinheit im Flussdiagramm. In Blau: Hardware, in Orange: Regelkreis. Illustration: Britta von Heintze

In diesem Projekt wird eine Automatisierungslösung für die Justierung der Strahlteiler- und Verzögerungseinheit am SASE2-Undulator des European XFEL entwickelt. Für den Justiervorgang werden die FEL-­Pulse durch die Strahlen eines Laborlasers und einer Röntgenröhre ersetzt. Diese werden in eine Anordnung geeigneter Detektoren und Strahlmonitore eingespeist, die den Strahlenverlauf überwachen können. Auf Basis dieser Signale dosiert eine Software die Einstellsignale für die Spiegel. Sind die geplanten Hard- und Software­komponenten erst implementiert, gestalten sie das Experimentieren mit der Strahlteiler- und Verzögerungseinheit deutlich nutzerfreundlicher.

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